Fachkräftemangel ist in nahezu allen Branchen Realität. Expertinnen und Experten sind sich einig, dass die höhere Erwerbstätigkeit von Frauen daher ein entscheidender Faktor sei, um den Fachkräftebedarf zu sichern. Zu diesem Thema diskutierten jetzt im Burgsaal in Velen-Ramsdorf Fachleute aus verschiedenen Bereichen. Eingeladen zu dieser Veranstaltung hatten die kommunalen Gleichstellungsbeauftragten im Kreis Borken im Rahmen ihrer Veranstaltungsreihe „Talk im Kreis“.
Beruf und Familie müssen vereinbar sein
In ihrem Grußwort betonte die Bürgermeisterin der Stadt Velen, Dagmar Jeske, dass die aktuellen Herausforderungen auf dem Arbeitsmarkt ohne das Potential der Frauen nicht zu bewältigen seien. Erforderlich seien Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel eine gute und verlässliche Kinderbetreuung, die es Frauen und Männern ermögliche, Beruf und Familie zu vereinbaren.
Frauen von Coronafolgen stärker betroffen
Einen Überblick über die Frauenerwerbstätigkeit im Kreis Borken gab im Anschluss die Diplom-Psychologin Sonja Schaten, die Mitarbeiterin der Berufsbildungsstätte Westmünsterland ist. Die Corona-Pandemie habe weite Teile des Dienstleistungssektors beeinträchtigt. Dort sei der Anteil der Frauen mit geringfügiger Beschäftigung im Kreis Borken sehr hoch. Deshalb seien Frauen hier von den Folgen deutlich stärker betroffen gewesen als Männer. In den Beratungsgesprächen hätten viele Frauen von Belastungsstörungen bis hin zu psychischen Erkrankungen berichtet. Aber nicht nur die Corona-Pandemie, auch die Krisen und Kriege hätten dazu geführt, dass Frauen und Männer den Stellenwert der Arbeit in ihrem Leben stärker hinterfragten und den Wunsch nach einer sinnstiftenden, flexibel gestaltbaren Tätigkeit hegten.
Instabile Betreuungssituationen
Die Übernahme der „Care-Arbeit“, die Pflege und Betreuung von Angehörigen, werde bei Männern und Frauen allerdings oft unterschiedlich interpretiert und bewertet. Ein Mann, der beispielsweise sein Kind in den Kindergarten bringe, bekomme dafür viel mehr Anerkennung und Lob als eine Frau. Instabile Betreuungssituationen in den Kitas und die langen Wegezeiten, die zum Beispiel durch Kinderarzttermine oder Fahrdienste entstünden, stellten ebenfalls ein großes Hindernis für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie dar. Auch Frauen mit Migrationshintergrund hätten aufgrund der oft geschlechterspezifischen Rollenzuschreibung und der fehlenden Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen eine schlechte berufliche Ausgangsposition.
Frauen in Teilzeit würden gern mehr arbeiten
Neue Impulse für die Personalpolitik gab anschließend Dr. David Juncke, Vize-Direktor der Prognos AG und Experte für Familienpolitik. Dabei ging er sowohl auf die Perspektive der Mütter und Väter als auch auf die der Arbeitgeber ein. Bei der Fachkräftesicherung stehe vor allem eine Erhöhung des geringen Teilzeitvolumens von Müttern im Fokus. Viele teilzeitbeschäftigte Frauen hätten in einer Umfrage angegeben, eine vollzeitnahe Tätigkeit im Umfang von 30 bis 35 Stunden pro Woche bevorzugen zu wollen. Im Gegenzug dazu hätten Väter, die in Teilzeit arbeiten, häufig den Wunsch geäußert, ihre Stundenzahl zu reduzieren. Ein nicht unwesentlicher Anteil der Männer habe angegeben, den Arbeitgeber schon gewechselt zu haben, um Beruf und Familie besser vereinbaren zu können. Hier seien Unternehmen gefragt, flexible Arbeitszeitmodelle zu entwickeln, um Fachkräfte dauerhaft zu gewinnen und zu halten.
Altbekannte Muster und Rollenverteilungen
Viel zu oft noch würden sich Unternehmen an altbekannten Mustern und Rollenverteilungen orientieren. So sei zum Beispiel die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bei Vätern kein regelmäßiger Inhalt in Personalgesprächen. Führungspositionen auch in Teilzeit zu besetzen und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, seien ebenfalls Personalmaßnahmen, bei denen in vielen Unternehmen noch Handlungsbedarf bestehe. Auch wenn die Pandemie unter anderem dazu geführt habe, dass Mitarbeiter im Arbeitsalltag als Väter sichtbar geworden seien – beispielsweise durch Kinder, die in Videokonferenzen durch das Bild gelaufen seien – sei bei der Vereinbarkeitspolitik noch eine Menge an gemeinsamer Arbeit notwendig.
Talkrunde mit Erfahrungsberichten und Denkanstößen
Auch die anschließende Talkrunde, moderiert von der Journalistin Sabine Ziemke, brachte interessante Erfahrungsberichte und Denkanstöße aus der Praxis mit sich. So betonte Daniel Janning, Geschäftsführer der Kreishandwerkschaft Borken, wie wichtig es sei, Mädchen schon früh für das Handwerk zu begeistern und Vorbilder zu schaffen. Auch Inken Steinhauser, Geschäftsführerin von „Aktive Unternehmen im Westmünsterland“, ging auf die Bedeutung von Vorbildern in Kitas und Schulen ein. Ein gelungenes Beispiel eines familienfreundlichen Unternehmens stellte Theresa Hoffmann, Personalentwicklerin bei der Firma Ventana in Vreden, vor. Sie betonte insbesondere die Vorteile der in ihrer Firma installierten Großtagespflege.
Familienfreundliche Maßnahmen notwendig
Auch der Geschäftsführer der Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken, Dr. Daniel Schultewolter, bekräftigte die Notwendigkeit familienfreundlicher Maßnahmen in den Betrieben. Die Gleichstellungsbeauftragte des Kreises Borken, Irmgard Paßerschroer, zog am Ende eine durchweg positive Bilanz und bedankte sich vor allem auch für die vielen Denkanstöße aus dem Publikum und für die ausgezeichnete muskalische Umrahmung des Abends durch die Gruppe Zeligs.